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Reisebericht

26.09.2021

Unvorbereitet und alleine als Frau mit dem Fahrrad durch die Welt - Ja, das geht.

Veloplus-Kundin Nuria Emmenegger ist mit ihrem Fahrrad mitten in der Pandemie losgezogen. Allein und ohne grosse Vorbereitung, dafür mit viel Überzeugung und Abenteuerlust.

Ich kann keinen platten Reifen reparieren, habe zuvor noch nie eine längere Fahrradtour unternommen und bin an sich keine leidenschaftliche Radfahrerin. Und doch zieht es mich aufs Velo, raus aus dem Bekannten, ins Unbekannte. Ich will die Welt auf zwei Rädern erkunden, nahe an der Natur sein, stetig Neues erleben und jeden Tag draussen verbringen.

Schon zu Beginn erfahre ich den Zauber der Gastfreundschaft.

Trotz der vielen kritischen Stimmen, die sagen, dass die Zeiten wegen der Pandemie momentan zum Reisen nicht gut sind und die Jahreszeit sehr schlecht gewählt ist, starte ich meine Reise in Bern am 9. November 2020. Ich habe ein Ziel, ich will dorthin, wo es viel Natur, Weite, Stille und Abgeschiedenheit gibt: in die Mongolei.

Von der Schweiz fahre ich nach Italien, hinunter in den Süden, im festen Glauben, dass es dort wärmer sein wird. Gleich zu Beginn habe ich mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen. Wind, Kälte und viel Regen machen das Unterwegssein anstrengend. Ich friere, fahre täglich lange Distanzen, um möglichst schnell im Süden zu sein, und muss dann realisieren, dass es auch dort nicht viel wärmer ist. Mitten im Lockdown hat auch kein Restaurant und kein Hotel offen, es gibt keine Möglichkeit, irgendwo Unterschlupf zu finden. Und doch ergeben sich Wege, denn schon zu Beginn erfahre ich den Zauber der Gastfreundschaft. Italiener laden mich zu sich nach Hause ein, decken den Tisch mit dem feinsten Essen und geben mir ein warmes Bett für die Nacht.

Sonnenaufgang in Griechenland am Meer.

Ich fange an, die Qualität von Einfachheit und Minimalismus immer mehr wahrzunehmen und zu schätzen.

In Italien, und anschliessend in Griechenland, lerne ich vor allem eines: das Loslassen von gewissen Vorstellungen, das Annehmen von dem, was im Moment ist und das Erlangen des Bewusstseins, dass jeder Zustand vergänglich ist. Ich fange an, die Qualität von Einfachheit und Minimalismus immer mehr wahrzunehmen und zu schätzen. Kleine Dinge werden plötzlich zu etwas Grossem und so freue ich mich zum Beispiel riesig darüber, wenn mir ein warmer Kaffee offeriert wird. Eine nette Geste eines Menschen, die den Augenblick bereichert. Und es ist, wie man es immer wieder hört: Am meisten geben oft diejenigen, die am wenigsten haben.

Nach Griechenland fahre ich weiter in die Türkei. Denn noch habe ich mein Ziel, die Mongolei, fest vor Augen. Trotz geschlossener Grenzen im Osten halte ich den Kurs und bin mir sicher, dass die Länder bald wieder bereisbar sein werden. Das Ankommen in der Türkei ist hart. Nach dem idyllischen Griechenland bringen mich die grossen Strassen und das heftige Treiben in dem neuen Land aus der Ruhe. Ich muss mich zuerst durch Istanbul und die stark befahrenen Strassen kämpfen, weiterer Kälte und Regen trotzen und bis hinunter in den Süden fahren, bevor sich mir schliesslich die Schönheit und die Vielfalt des Landes, wie auch der warme Frühling, offenbaren.

Nach steilen Hügeln die Belohnung am Meer mit Blick auf die Berge im Hintergrund.

Ich erfahre die immens grosse Gastfreundschaft der Türk:innen und werde immer wieder herbeigerufen, um gemeinsam zu essen und Tee zu trinken. Bald fühle ich mich in diesem grossen Land wie zu Hause und es ist ganz normal, dass ich regelmässig in irgendeinem Wohnzimmer sitze und für einen Moment ein Teil der Familie bin. Die grosse Gastfreundschaft und die Freude und Herzlichkeit der Menschen berühren mich immer wieder aufs Neue. In der Türkei erlebe ich das erste Mal das Gefühl, in der Weite unterwegs zu sein. Manchmal fahre ich tagelang durch einsame Gegenden, nur ein paar Bergdörfchen antreffend, allein in der Stille, auf den endlosen Strassen durch dieses schöne und landschaftlich abwechslungsreiche Land.

Bald fühle ich mich in diesem grossen Land wie zu Hause.

Reisen als Frau

Immer wieder werde ich gefragt, ob ich nicht Angst hätte, alleine zu reisen. Ich begegne oft den vorgefertigten Bildern, welche viele Menschen bezüglich Frauen immer noch im Bewusstsein haben. Eine komplexe Thematik, mit der sich jede Frau auseinandersetzen muss, ob sie will oder nicht. So ist es auch auf meiner Reise. Grenzüberschreitendes Verhalten von Männern gegenüber Frauen gibt es überall auf der Welt. Ich könnte nun beschreiben, in welcher Form sich mir dieses bislang gezeigt hat, wie es mich teils anstrengt und wie ich es manchmal leid bin, mich damit auseinandersetzen zu müssen. Letztlich komme ich aber zum Schluss, dass es vor allem darum geht, einen Umgang damit zu finden, mich nicht entmutigen zu lassen und die Veränderung zu leben, die ich mir wünsche. Indem ich allein als Frau reise, beeinflusse ich die unterbewussten und stereotypen Bilder der Menschen, die mich antreffen.

Nuria Emmenegger unterwegs in Norwegen.

Indem ich allein als Frau reise, beeinflusse ich die unterbewussten und stereotypen Bilder der Menschen, die mich antreffen.

Je mehr Frauen es gibt, die selbstständig unterwegs sind, desto mehr wird es zur Normalität werden. Und ich erhoffe mir, dass künftig die Fragen bezüglich zur Genderthematik wegfallen werden. Ich hoffe, dass es bald nichts Aussergewöhnliches mehr sein wird, als Frau allein zu reisen. Dass allein reisende Frauen mehr gefordert sind als Männer steht ausser Frage. Es deswegen zu unterlassen, wäre jedoch eine falsche Schlussfolgerung. Denn wenn sich die Frauen den Umständen anpassen, können sich diese nie ändern. Gibt es jedoch mehr Frauen, die sich trauen, selbstständig loszuziehen und sich dieses Recht, das ihnen zusteht, auch nehmen, können sich die Denkmuster mit der Zeit verändern.

Der Weg als Ziel

Geraume Zeit, bevor mir klar wird, dass sich die Grenzen in den Osten für mich nicht rechtzeitig öffnen werden, lasse ich meinen Wunsch, in die Mongolei zu fahren, los. Das Reisen auf dem Fahrrad verändert meine Wahrnehmung und die Bedürfnisse. Der Weg wird zu meinem neuen Ziel und ich bin im Unterwegssein angekommen. Anstatt in die Mongolei fahre ich aus dem östlichsten Teil der Türkei, von der iranischen Grenze, dem Schwarzen Meer entlang zurück ins Zentrum von Europa und dann weiter in den Norden nach Schweden. Dort treffe ich schliesslich auf das, was ich mir so lange ersehnt habe: Ruhe.

Nach fast neun Monaten, zehn Ländern und knapp 16 000 Kilometern auf dem Fahrrad komme ich am Nordkap an.

Nach den viel befahrenen Strassen und dem ständigen Treiben in einem Grossteil der Türkei und im bisher bereisten Europa, finde ich in Schweden die Abgeschiedenheit der Natur. Weiter geht meine Reise nach Norwegen, bis zum nördlichsten Punkt auf dem Festland Europas. Nach fast neun Monaten, zehn Ländern und knapp 16 000 Kilometern auf dem Fahrrad komme ich am Nordkap an. Die Vielfalt unserer Erde macht meine Reise für mich zu etwas Wertvollem. Nie zuvor bin ich der Natur und den verschiedenen Witterungen so nahe gewesen. Die unzähligen schönen Begegnungen mit den Menschen, die verschiedenen Kulturen und die zahlreichen Erlebnisse bereichern mein Unterwegssein. Ein Lachen, eine kleine Unterhaltung, eine nette Geste, Menschlichkeit und Herzlichkeit sind es, welche die Welt und mein Leben auf dem Fahrrad zu etwas Besonderem machen.

Nach Skandinavien zieht es mich in den Süden nach Frankreich. Ich träume davon, mit dem Schiff über den Atlantik nach Neuseeland zu segeln. Ob ich mein ursprüngliches Ziel, die Mongolei, je erreichen werde, weiss ich nicht. Eines ist jedoch sicher: Meine Reise ist noch nicht zu Ende – ich fahre weiter!

Die Route von Nuria Emmenegger